Narzisstische Mutter – Kein Herz für das eigene Kind
Narzisstische Eltern sind oft mehr mit sich selbst als mit den Bedürfnissen ihrer Kinder beschäftigt. Ein Psychiater und eine Therapeutin erklären, welche Auswirkungen das auf die Kinder hat.
Wenn Monika Celik andere Mütter sieht, die liebevoll mit ihren Töchtern umgehen, spürt sie einen Stich im Herzen. Es gab Zeiten, in denen sie hoffte, ihre Mutter könne sie doch lieben. Doch diese Momente verflogen schnell. Was folgte, war erneut Gleichgültigkeit, Aggression oder Abwertung. In ihrem Buch Narzissenkinder beschreibt sie diese Erfahrungen und ist sich sicher: Ihre Mutter war narzisstisch.
Das Wesen der narzisstischen Persönlichkeit
Narzissten wirken oft selbstbewusst und selbstverliebt. Sie kreisen gedanklich um sich selbst, halten sich für außergewöhnlich und erwarten Bewunderung. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich oft Unsicherheit. Bei Misserfolgen zweifeln sie an sich, schämen sich oder fühlen sich innerlich leer. Manche entwickeln sogar suizidale Gedanken. Wird das narzisstische Verhalten zur Belastung, kann eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden.
Laut Stefan Röpke, Oberarzt an der Charité Berlin, haben Narzissten in Wahrheit ein niedriges Selbstwertgefühl. Ihr überhebliches Verhalten dient dazu, sich stark zu fühlen. Deshalb reagieren sie besonders empfindlich auf Kränkungen – oft mit Wut oder sogar Gewalt.
Empathie spielt für Narzissten eine untergeordnete Rolle. Eine Studie um Röpke zeigte, dass Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung weniger graue Substanz in Hirnregionen besitzen, die für Mitgefühl zuständig sind. „Andere Menschen sind für Narzissten nur wichtig, wenn sie eine Funktion erfüllen“, erklärt er. Sie schmücken sich mit ihrer Familie oder wichtigen Freundschaften – oder werten andere ab, um sich selbst aufzuwerten. Narzissmus betrifft den gesamten Charakter und beeinflusst das Umfeld – besonders die Kinder.
Kindheit im Schatten einer narzisstischen Mutter
Monika Celik tauscht sich in einer Facebook-Gruppe mit anderen Betroffenen aus. Viele berichten, dass sich in ihrer Kindheit alles um die Bedürfnisse der Mutter drehte. Ihre hohen Ansprüche waren kaum erfüllbar. Lob gab es nur für außergewöhnliche Leistungen. Doch wenn eine Prüfung schlecht ausfiel oder ein Wettkampf nicht gewonnen wurde, reagierte die Mutter kühl und abweisend. Das ließ die Kinder glauben, sie seien wertlos.
„Ein Kind braucht das Gefühl, geliebt zu werden, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln“, betont Psychologin Silke Wiegand-Grefe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Doch in einer narzisstischen Eltern-Kind-Beziehung fehlt diese Beständigkeit. Narzisstische Eltern sehen ihre Kinder oft als Erweiterung ihres eigenen Egos. Kommt es zu Misserfolgen oder Enttäuschungen, reagieren sie verletzt und distanziert. Manche Mütter versäumen bewusst wichtige Ereignisse ihrer Kinder – sei es eine Theateraufführung oder die Hochzeit.
Kinder suchen die Schuld oft bei sich selbst. Sie vertrauen darauf, dass ihre Eltern wissen, was richtig ist. Wird ihnen wiederholt vermittelt, sie seien nicht gut genug, kann das ihr Selbstbild langfristig negativ prägen. Aus Angst vor Ablehnung versuchen sie, die Aufmerksamkeit der Mutter zurückzugewinnen – und stellen ihre eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund. „Narzisstische Eltern nutzen ihre Kinder zur Befriedigung ihrer narzisstischen Bedürfnisse“, sagt Wiegand-Grefe. Dieser emotionale Missbrauch sei kaum erforscht, aber ebenso schmerzhaft wie körperliche Gewalt.
Die langfristigen Folgen für die Kinder
Da Narzissten wenig Empathie besitzen, nehmen sie das Leid ihrer Kinder kaum wahr. Klärende Gespräche sind oft nicht möglich. Betroffene berichten, dass ihre Eltern nach außen liebevoll und fürsorglich wirkten, während sie zuhause Gleichgültigkeit oder sogar Grausamkeit zeigten. Das macht es für Außenstehende schwer, den emotionalen Missbrauch zu erkennen.
Eine norwegische Studie von 2019 untersuchte den Zusammenhang zwischen elterlichen Persönlichkeitsstörungen und der seelischen Gesundheit ihrer Kinder. Die Ergebnisse zeigten, dass Kinder narzisstischer Eltern später häufiger unter Depressionen litten. Eine WHO-Analyse bestätigt, dass Kinder psychisch kranker Eltern ein erhöhtes Risiko für eigene seelische Erkrankungen haben. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Narzissmus vererbt werden kann.
Die Entwicklung der Kinder hängt stark davon ab, ob sie positive Beziehungserfahrungen machen. Großeltern, Lehrer oder Freunde können ihnen Halt geben. Der andere Elternteil ist oft selbst belastet und kann nur begrenzt helfen.
Befreiung aus dem toxischen Kreislauf
Viele Kinder narzisstischer Eltern erkennen erst im Erwachsenenalter, wie sehr sie geprägt wurden. Manche suchen unbewusst ähnliche Beziehungen, weil ihnen dieses Muster vertraut ist. Psychiater Röpke empfiehlt: „Erwachsene Kinder sollten sich aus der toxischen Beziehung lösen, Distanz gewinnen und sich auf ihr eigenes Leben konzentrieren.“ Das kann bedeuten, den Kontakt einzuschränken oder ganz abzubrechen. Narzissten empfinden das oft als starke Kränkung, doch es kann sie auch zum Nachdenken bringen. Im Alter schwächen sich narzisstische Züge meist ab – manchmal ist dann eine Annäherung möglich.
Monika Celik hat sich nach vielen gescheiterten Versuchen entschieden, den Kontakt zu ihrer Mutter abzubrechen. „Erst als ich verstand, was Narzissmus bedeutet, wurde mir klar, dass diese Gespräche sinnlos sind“, schreibt sie. Heute hilft sie anderen Betroffenen und sagt: „Wir müssen Abschied nehmen – nicht unbedingt von der Mutter, aber von der Hoffnung, dass sie jemals die Mutter sein wird, die wir uns wünschen.“